Der Morgen des 22. Februar beginnt für mich ganz entspannt. Es ist mein Planungstag, heißt: Mein Team und ich planen die nächsten Aktivitäten für die kommenden drei Wochen. Das ganze haben wir schnell erledigt, sodass ich meinen nächsten Job für den heutigen Tag angehe. Auf zum Baumarkt um Sachen für das Trampolin zu holen.
Es ist kurz vor 1 zur Mittagszeit als ich auf dem Highway unterwegs bin. Plötzlich beginnt sich das Lenkrad wie von Geisterhand von links nach rechts zu bewegen. Ich bin besorgt, dass etwas mit den Reifen nicht stimmt, da es nach mehreren Sekunden immer noch nicht aufhört. Ich fahre links ran, um zu gucken was los ist, doch plötzlich ist alles wieder okay. Auf dem Weg zum Baumarkt passiert es noch ein paar Mal. Irgendwie ist alles ein bisschen komisch. Keine der Ampeln funktioniert und die Leute auf der Straße sehen unbeholfen aus.
Vor dem Baumarkt kommt mir bereits ein Mitarbeiter entgegen und sagt, dass ich hier jetzt nicht bedient werden könne. Der ganze Boden ist mit Waren übersäht. Erst da fällt es mir dann richtig auf. DAS WAR EIN ERDBEBEN!
Ein Erdbeben der Stärke 6,3. Nicht ganz so stark wie das im September, dafür aber viel schlimmere Ausmaße.
Im Radio höre ich auf allen Sendern nur noch etwas über das Beben. Das Epizentrum befindet sich nur 5 km unter der Erdoberfläche von Lyttelton…LYTTELTON? Das ist genau die Stadt, die ich aus meinem Fenster sehen kann. Mein erster Gedanke: Zurück nach Cholmondeley.
Der Weg zurück ist unwirklich. Ampeln funktionieren nicht, Menschen laufen mit unfassbaren Gesichtern durch die Straßen, Tankstellen und Läden geschlossen, Straßen aufgerissen, Wasser kommt aus dem Boden und überall liegen Steine auf den Gehwegen. Das absolute Chaos!
Von Christchurch nach Lyttelton gibt es zwei Wege. Durch den Tunnel oder über den Berg. Ich entscheide mich für den Bergpass doch schon nach den ersten Kurven wird mir klar, dass das nicht ganz ungefährlich ist. Riesige Felsen liegen auf der Straße. Ich habe richtig Schiss, dass bei einem Nachbeben weitere Felsen den Berg runterrollen und mich einfach wegfegen.
Zurück beim Kinderheim stehen viele der Mitarbeiter draußen und ich werde mit den Worten begrüßt: „Welcome to Christchurch!“
Die Kids waren zum Zeitpunkt des Bebens gerade mit den anderen Mitarbeitern am Essen. Den Kleinen ist die Angst ins Gesicht geschrieben. Alle haben sich in einem Raum gesammelt und wir versuchen sie abzulenken mit Spielen, Singen, Reden,…BUUUUUM! Ein weiteres heftiges Nachbeben. Alle Kids springen unter die Tische. Es wackelt. Es ist laut. Alles scheppert. Im Augenwinkel sehe ich wie die Lampe von der Decke fällt. Ich versuche sie aufzufangen…geordnet aber zügig rennen wir raus. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich die Lampe auf den Kopf gekriegt habe. Drinnen habe ich das gar nicht gemerkt, weil ich völlig perplex war von dem, was gerade abgeht.
Den Abend und die Nacht verbringen wir in der Schule direkt neben dem Kinderheim. Im Gegensatz zum Heim hat die Schule nämlich so gut wie gar nichts abgekriegt. Wir tragen alle Matratzen vom Heim zur Schule und dort grillen wir abends.
Danach fahre ich mit einem der Mitarbeiter in die Stadt, um zwei der Kids nach Hause zu den Eltern zu bringen. Straßen aufgerissen und überall Schlamm in den Straßen.
Die Nacht ist nicht erholsam. Bei jedem weitern Nachbeben schreien die Kids auf. Manche weinen. Auch mir ist bei jedem Rütteln wieder unwohl. Ich weiß, dass nichts passieren kann, da die Schule erdbebensicher gebaut ist, aber es ist so ein komisches Gefühl. Ich werde von einigen der Mädels gefragt, ob ich nicht bei ihnen am Bett bleiben kann. Mir ist das ganz recht, da ich eh nicht wirklich in der Lage bin zu schlafen. Sobald es wieder bebt, sitzen einige der Kinder kerzengerade im Bett und haben die Augen weit aufgerissen. Sie packen meinen Arm und wollen nicht mehr loslassen. Doch nach einigen Stunden lege ich mich dann auch ins Bett. Ich wache bei jedem größeren Nachbeben auf. Viel Schlaf gibt es nicht.
Es ist nicht cool, aber faszinierend, wie stark so ein Beben ist. Das Gefühl ist etwas ganz einzigartiges und lässt sich nicht beschreiben. Aber das Geräusch und was durch das Beben passiert, ist schrecklich. Es ist so unwirklich und ironisch, wenn man in die Bucht guckt. Alles wirkt friedlich und doch von der einen auf die andere Sekunde, kann die Erde sich so unbeeinflussbar in Szene setzen. Und man kann NICHTS machen!
Am nächsten Tag werden die anderen Kids zu ihren Eltern gebracht. Ich bin ganz ehrlich froh mich endlich nicht mehr um die Kinder kümmern zu müssen, denn ich war selber ziemlich mitgenommen. Mein erstes heftiges Beben und dann gleich eins bei dem so viele Menschen ums Leben kommen und so viel zerstört ist. Neuseeland hat das erste Mal in der Geschichte den „nationalen Notstand“ (oder so in etwa) ausgerufen.
Das Haus ist nicht mehr bewohnbar. Wir müssen also erstmal woanders hin. Einmal rein ins Haus. Das Bild was sich mir bietet ist nicht schön. Risse überall, der Putz ist von den Wänden gekommen. Die Küche sieht aus als ob jemand im Supermarkt in eine Dosenpyramide gefahren ist und der Rest der Wohnung wie nach einem Einbruch. Ich packe meine sieben Sachen und wir nehmen alles Essbare aus dem Kühlschrank mit. Elektrizität und trinkbares Wasser: Fehlanzeige.
Wir fahren nach Living Springs. Das Camp ist nur ein paar Kilometer von uns entfernt, aber dafür sieht es hier aus wie in einer sicheren Festung. Nur wenige Risse in den Wänden. Strom gibt es hier zwar ebenfalls nicht, dafür aber ein wenig Wasser und einen Generator für die nötigsten Sachen.
Nach ein paar Stunden Schlaf sehe ich zum ersten Mal Bilder der Innenstadt von Christchurch und von Lyttelton. Schreckliche Bilder. So viel Leid und Tragik!
Am nächsten Tag räumen wir erstmal hier in Living Springs auf. Um 11 Uhr… BÄM: Strom! Nach 2 Tagen Dunkelheit endlich wieder Licht.
Da es uns hier im Vergleich zu manch anderen in Christchurch ziemlich gut geht und wir Jungs im besten Alter sind, ziehen wir mit Schaufeln und Schubkarren los Richtung Zentrum. Irgendwo wird unsere Hilfe bestimmt gebraucht. Und das wird sie! Wir buddeln bei einer Stelle einen Graben, damit das Wasser in die Straße läuft. Bei einer anderen Stelle schaufeln wir einen Garten frei, in dem der ganze Sand, Dreck und Abwassermist aus den geplatzten Rohren an die Oberfläche gespült worden ist. Das klingt nicht nach viel, aber da so viel zerstört wurde, addiert sich jede kleine Hilfe, damit es den Menschen in Christchurch wieder besser geht.
Wie es jetzt für mich weitergeht…ich habe ganz ehrlich keine Ahnung. Der Statiker war heute im Kinderheim und sagte, dass das Heim so nicht in der Funktion bleiben kann. Was genau gemacht wird steht nicht fest. Nur reparieren, abreißen und neu bauen oder vielleicht einen neuen Ort für das Projekt finden. Das sind alles Optionen. Sollte ich nicht in das Heim zurückkönnen gibt es auch noch die Möglichkeit das Projekt zu wechseln zum Beispiel auf die Nordinsel. Eigentlich will ich aber hier bleiben und nicht flüchten. Von so einem dämlichen Beben will ich mir mein Jahr nicht versauen lassen. Außerdem würde ich dem Projekt gerne beim Wiederaufbau helfen. Das sind aber alles nur Möglichkeiten. Alles hängt ein bisschen in der Luft und das Einzige was ich im Moment eigentlich machen kann ist Warten.
Es ist so ein großer Unterschied zu der Zeit im September, als ich noch auf Great Barrier Island war. Da konnte ich mir absolut nicht vorstellen was genau in Christchurch und Umgebung abgeht. Doch jetzt bin ich mittendrin statt nur dabei. Es ist kein wunderbares Erlebnis, aber es ist eines, definitiv.
Übrigens waren die Beben am 22. nicht die einzigen. Jeden Tag gibt es zahlreiche große Nachbeben jeder Stärke. 3,2, 4,4, …alles dabei. Hier mal ein Überblick über die letzten:
http://www.geonet.org.nz/earthquake/quakes/recent_quakes.html
Sobald ich etwas Neues weiß, werde ich mich melden.
Allen in Otti wünsche ich jetzt aber erstmal ein geniales Karnevalswochenende! Feiert schön. An alle, die sich Sorgen machen: Lasst das erstmal sein. Mir gehts gut.
Bis dann,
der durchgeschüttelte Flo